Eine Reportage von Markus Nowak
Schmutzige Mäntel, alte Jacken und getragene Unterwäsche. Eine Traube von Menschen steht morgens früh um 8 Uhr vor dem Tor zum Salesianerkloster in Košice im Osten der Slowakei und hat Körbe dabei, vollgepackt mit schmutziger Wäsche. Pater Marián Matata lässt die Menschen einzeln ein und hilft beim Tragen der Kleiderkörbe über den Innenhof bis zu einem Nebengebäude des Klosters. Dort wartet bereits Liva, eine zierliche Frau im orange-farbenen Overall. Sie nimmt die Wäsche an und kassiert, eine 10-Kilo-Waschladung kostet vier Euro: „Man merkt, wenn die Menschen hier im Viertel wieder flüssig sind, weil sie ihr Gehalt oder eine staatliche Transferleistung überwiesen bekommen haben“, sagt Liva. „Mein Arbeitstag endet normalerweise um zwei Uhr am Nachmittag, an Tagen, an denen die Leute Geld haben, muss ich schon bis vier oder fünf Uhr bleiben.“
Liva arbeitet im „Waschsalon“ des Salesianerklosters. Allerdings wird dort nicht in erster Linie die Ordenskleidung der vier Priester gewaschen, sondern die Wäsche der Bewohner von Luník IX. Das Viertel Luník IX wurde in den 1970er Jahren als sogenannte ABC-Siedlung angelegt, erläutert der 56-jährige Ordensmann Marián Matata bei einem Spaziergang auf einen Hügel mit Blick auf das Quartier. ABC steht im Slowakischen für „armáda, bezpečnosť, Cigáni“, zu Deutsch etwa „Armee, Sicherheit, Zigeuner“. Luník IX sei eine Art soziales Experiment in der Slowakei gewesen, um die Roma in die sozialistische Gesellschaft einzugliedern. „Aber leider haben es die Slowaken nicht ausgehalten neben den Roma. Am Ende sind nur noch die Roma geblieben und wurden aus einer Minder- zu einer Mehrheit im Viertel.
Da die wenigsten Einwohner der von Medien oft als „Roma-Ghetto“ bezeichneten Wohnsiedlung eine Waschmaschine haben, besorgte die Ordensgemeinschaft ein paar Industriewaschmaschinen und funktionierte die Garage in einen Waschsalon um. Eines von zahlreichen Hilfsangeboten der Salesianer, sagt Pater Matata. Er lässt sich lieber mit Pater Marián ansprechen, etwa wenn er zu den Roma-Familien geht, um sie in ihren Wohnungen handwerklich zu unterstützen und zum Beispiel eine Lampe anzubringen. Denn die wenigsten in Luník IX haben eine Bohrmaschine oder Werkzeug. In vielen Wohnungen gibt es noch nicht einmal eine Heizung, weil die Gasleitungen vor Jahren abgeschaltet wurden - und auch eine funktionierende Toilette oder Dusche ist nicht in jeder Wohnung zu finden. „Als ich hierherkam, hatte ich keine Erfahrung mit Roma und dachte, ich bleibe nicht lange“, sagt Pater Marián. Vier Jahre ist das nun her. „Aber so langsam denke ich, ich will nicht wieder weg. Es gibt zu viele bedürftige Menschen, die hier Unterstützung brauchen.“
Pastoral für die Roma-Minderheit
5.000 Roma wohnen heute teils in erbärmlichen Umständen in Luník IX. Armut, Arbeitslosigkeit, der Kinderreichtum der Roma-Familien, Schreie und laute Musik beherrschen den Alltag in der Siedlung bis spät in die Nacht. „Die Arbeit und das Leben hier ist schwer“, sagt Pater Marián. Er erzählt von Zweifeln, die ihn als Ordensmann umtreiben. Denn oft hört er von den Roma den Vorwurf, dass er als Priester ihnen kein Geld geben wolle. „Ich frage mich dann wirklich, was bin ich für ein Priester und Mensch.“ Aber als Ordensmann verfügt er selbst nicht über Geld, deshalb versucht er, die Menschen konkret mit Taten zu unterstützen. Deshalb hat er etwa Liva im Waschsalon des Klosters angestellt, denn die 35-Jährige hat 12 Kinder und hatte große Probleme, einen Job zu finden.
Dieser Kinderreichtum ist nicht ungewöhnlich bei den Familien in Luník, berichtet Izabela Ficeriová. Sie ist „Assistentin der Roma-Pastoral“, wie ihre Stelle offiziell heißt – und somit eine Art kirchliche Sozialarbeiterin in der Siedlung. Sie beobachtet, dass hier Mädchen oft schon mit 15 Jahren schwanger werden und dann die Schule nicht beenden. Das Salesianerkloster versucht, die Kinder von Luník zu unterstützen mit Bildungsangeboten, Hausaufgabenbetreuung oder Mentoring-Programmen. „Unser Ziel ist es, eine gute Person aus den Kindern zu machen“, sagt Ficeriová: „Ich sehe Potenzial in allen Kindern - und ich will, dass auch sie es in sich sehen.“
Ob er das Potenzial zu einem Musiker hat? Martin Jano hält mit der linken Hand das Griffbrett am Gitarrenhals, mit der rechten streicht er über die Saiten und entlockt der Gitarre ein paar Akkorde. Der 17-jährige Rom hat Gitarre spielen in einer Musikgruppe der Salesianer gelernt und hat sich mit seiner Band den Namen „Gypsy Boys“ gegeben. Die Jungs treten bei lokalen Festen auf oder spielen im Gottesdienst. „Wir sind noch zu unbekannt, um Geld für die Auftritte zu nehmen“, sagt der junge Gitarrist. „Wir spielen, um uns zu verbessern und wollen anderen eine Freude machen.“ Später einmal will er Polizist werden und draußen leben. Draußen – das heißt außerhalb von Luník.
Katechese auf dem Fußballplatz
Ortswechsel. Der Ortsteil Trnavka in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, fünf Autostunden gen Westen, hat auf den ersten Blick wenig gemein mit Luník IX. Die Reihenhäuser wirken kleinstädtisch. Aber auch hier wohnen nicht die wohlhabendsten Menschen und so hat sich auch hier der Salesianerorden niedergelassen. Das Besondere daran: Hier gehört gleich ein halbes Dutzend Fußballplätze zum Kloster; es gibt aber auch das für den Don-Bosco-Orden „typische“ Oratorium - ein kleiner Komplex für Theateraufführungen, Tischtennisspiele, Gruppenstunden oder auch Katechese.
Diese Katechese führt den Salesianerpater Tibor Reimer zuweilen direkt auf den Rasen: Der promovierte Pastoraltheologe ist abends im Sportanzug beim Training der zwölf Kinder- und Jugendmannschaften des „SDM Domino“ dabei. Nicht als Spieler, Coach oder Schiedsrichter, sondern als Geistlicher. Denn bevor das runde Leder getreten wird, gibt es eine kurze Andacht vor dem Training oder ein Gebet vor einem Liga-Spiel, um die jungen Kicker geistig auf das Bevorstehende vorzubereiten. „Siegen und Verlieren gehört zum Fußball, ebenso wie der Trainingsprozess“, sagt Tibor Reimer. Dabei werden Werte wie Disziplin, Zusammenspiel und Fairplay geschult. „Es geht auch darum, die schwachen Stellen des Lebens zu erkennen und damit zu arbeiten.“
„Wir kämpfen mit Leib und Seele - auf dem Spielfeld und im Leben“, steht auf dem Vereinswappen des SDM Domino – ein Motto, mit dem Timo Pavlík quasi aufgewachsen ist: Schon als er drei Jahre alt war, nahm ihn sein Vater mit zum Training. Heute verteidigt er selbst in der A-Mannschaft rechts außen, wenn auch nach eigenen Angaben nur mäßig. Und er trainiert zwei Kindermannschaften: Die Sieben- und die 13-jährigen. „Für die Jungs bin ich nicht nur ein Fußballtrainer“, sagt Timo. „Eher ein Vorbild, manchmal sogar ein Influencer.“. Nicht selten kommen die Jungs, um Probleme mit ihm zu besprechen. Neulich einmal musste er einem seiner Spieler sagen, dass er ohne gute Mathe-Noten nicht mehr spielen kann. „Schule ist in diesem Alter wichtiger als Fußball“, sagt Timo. Er selbst hat die Schule bereits beendet, er studiert Marketing und macht nebenbei eine Trainerausbildung, er will später auch mal Profi-Mannschaften trainieren.
Das Ziel, Profi-Fußballer zu werden haben auch einige der 300 Kinder und Jugendlichen vom „SDM Domino“, da ist sich Pater Tibor sicher. Manche der Salesianer-Jugendmannschaften mischen inzwischen in der slowakischen Liga gut mit, aber es geht Pater Tibor nicht darum, die Jugendlichen bis zur Profi-Liga zu trainieren. Viel wichtiger ist, dass sie dem kickenden Geistlichen zuhören, wenn er über christliche Werte mit ihnen spricht – auch wenn mittlerweile ein großer Teil von ihnen selbst nicht religiös ist. Das Ziel von Pater Tibor: Er möchte die Jugendlichen auf ihrem Weg ins Erwachsenenalter begleiten - und Fußball ist ein probates Mittel dabei.