Im August 2021 war es endlich soweit: Nach den vielen Corona-bedingten Absagen im Jahr 2020 fand wieder eine erste Jugendbegegnung im Osten Europas im Rahmen des GoEast-Projektes statt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland freuten sich riesig auf eine Sommerwoche in der tschechischen Hauptstadt Prag, in der sie sich zusammen mit tschechischen Jugendlichen mit dem Thema „Nachhaltiges Europa" beschäftigen wollten. Organisiert wurde die Reise von der Jungen Aktion der Ackermann-Gemeinde, zusammen mit der Partner-Gruppe „Spirala" der Prager Sdružení-Ackermann-Gemeinde - mit finanzieller Unterstützung von Renovabis. Zwei der 20 Teilnehmer haben ein kleines Reisetagebuch geführt: Vojtěch Krusberský und Jan Salomon sind beide 22 Jahre alt, stammen aus Tschechien - und berichten von Erfahrungen und Erlebnissen, die „stark und lange im Gedächtnis bleiben werden", so Vojtěch.
Ankunft
Vojtěch: Ich war schon ein bisschen unsicher, als ich in den Clubraum der Jugendherberge in Prag ging: Zwar kannte ich einige der anderen Teilnehmer schon von früheren Begegnungen - aber das war fast zwei Jahre her. Das Gefühl ist aber noch an demselben Tag verschwunden im vielfältigen Programm und den vielen Gesprächen.
Einführung ins Thema, Zero Waste und die Politik der Grünen in Tschechien
Vojtěch: Nach dem Frühstück am Montag gab es einen für die Junge Aktion der Ackermann-Gemeinde typischen Programmpunkt – die sogenannte Statio, ein kurzer spiritueller Impuls, in dem normalerweise ein Gedanke aus einem Lied, einem Text oder ähnlichem präsentiert und zum Nachdenken gestellt wird. Dann begann auch schon die Einführung in unser Wochenthema: „Nachhaltigkeit".
Jan: Wir sammelten erst einmal unser bisheriges Wissen über Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die unterschiedliche Auffassung in Deutschland und Tschechien. Anschließend besuchte uns eine Angestellte von „BezObalu" (auf Deutsch: „Verpackungsfrei"), eine Organisation, die Zero-Waste-Geschäfte betreibt. Wir erfuhren, was aktuell mit unserem Abfall geschieht und wie man Müll im Alltag vermeidet. Nach einer kurzen Fahrt durch den Regen gelangten wir zum Rathaus des Prager Stadtteils Žižkov, um uns einen Vortrag über die Aktivitäten der Grünen im Stadtteil anzuhören. Deren Vertreter Matěj Žaloudek stellte die Vergangenheit der Partei vor und präsentierte Projekte zur sozialen Gleichstellung, erneuerbaren Energien und dem Wohnungsbau.
Fahrradausflug ins grüne Prag
Jan: Nach einer Andacht machten wir uns am nächsten Tag auf Fahrrädern auf nach Černošice-Mokropsy. Entlang der Moldau sammelten wir etwas andere, grünere Eindrücke der Millionenstadt Prag. Am Ziel angekommen überraschte uns ein kleiner Regenschauer, das Wetter änderte sich danach aber zum Besten. Wir stärkten uns mit den mitgebrachten Schnitzelbroten und ruhten uns auf einer grünen Wiese aus. Einige badeten in der Moldau, manche spielten Karten oder warfen Frisbees. Das Abendprogramm bestand aus einer Filmvorführung auf Deutsch mit tschechischen Untertiteln. „Seaspiracy" beschäftigte sich mit dem Einfluss der Fischerei-Industrie auf die Erde - die Zerstörung der Ozeane, die Überfischung und den Müll, den sie generiert.
Eine ganz besondere Stadtführung - mit einem obdachlosen Mann
Vojtěch: Am Mittwochvormittag gab es meiner Ansicht nach einen der wichtigsten Programmpunkte – eine Stadtführung durch Prag. Es ging aber um keine übliche Stadtführung – ein obdachloser Mann Namens Roman (von der Organisation Pragulic) zeigte uns die Orte, die mit seinem Leben und allgemein mit dem Leben der Prager Obdachlosen fest verbunden sind, wobei er uns auch seine persönliche Geschichte erzählte. Es handelte sich nicht immer um ein angenehmes, aber ein sehr starkes Erlebnis.
Jan: Roman, unser Fremdenführer von Pragulic, der auf der Straße lebt, holte uns ab und erzählte uns über sein Leben in Prag und die Möglichkeiten, ein halbwegs normales Leben zu führen. Wir gingen an einer Einrichtung, die Essen, Kleidung und Duschen zur Verfügung stellt, vorbei zu seinem Arbeitsplatz. Roman zählte Gründe auf, warum Menschen auf der Straße leben: Unbezahlbare Schulden und Drogen standen auf den vorderen Plätzen. Später zeigte er uns seinen Schlafplatz, den er mit weiteren Menschen teilt. Wir erfuhren mehr über Pragulic, ein Projekt, das Obdachlosen die Möglichkeit bietet, durch Stadtführungen Geld zu verdienen und das Leben einfacher zu machen.
Jan: Den Nachmittag verbrachten wir kreativ: Bei Reformát, einem Geschäft, das hochwertigen Papierabfall nicht recycelt, sondern zu neuen Produkten upcycelt. Zum Sortiment gehören Blöcke, Hefte oder Fotoalben. Wir nutzten ein weiteres Angebot von Reformát, nämlich einen Workshop. Jeder von uns gestaltete seinen eigenen Block und durfte die Werkzeuge und Maschinen in der Werkstatt ausprobieren - von einem Blockschneider, der Guillotine genannt wird, über den Papierbohrer bis zu einem Stanzer.
Tatkräftig mit anpacken auf dem Bio-Bauernhof
Vojtěch: Donnerstag Morgen begann früher als sonst - wir fuhren zum Bio-Bauernhof České Kopisty, um uns anzusehen, wie so ein Bauernhof funktioniert und selbst ein bisschen mitzuhelfen. Vormittags war Möhrenernte geplant, aber wir blieben nicht lange auf dem Feld. Es fing an, stark zu regnen, deshalb bearbeiteten wir unter dem Dach einer Scheune Zwiebeln. Nach dem sehr leckeren Mittagessen wurden wir durch die Räume und Gebäude des Bauernhofs geführt, währenddessen regnete es zum Glück nicht. Wir erfuhren etwas von der Philosophie des Bauernhofs, an dem auch mit geistig behinderten Menschen gearbeitet wird - es geht also nicht nur um die bio-landwirtschaftlichen, sondern auch die sozialen Aspekte. Später hat es wieder geregnet, deshalb arbeiteten wir wieder mit den Zwiebeln oder halfen, das Kraut von den Karotten zu entfernen.
Der Tag am Bauernhof war ein ungewöhnliches Erlebnis, man sah, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit wirklich sehr enthusiastisch machen.
Jan: Am nächsten Vormittag hielten wir bei einer Andacht inne, die musikalisch von Gitarre und Klavier begleitet wurde. Aktiver ging bei der Stadtrallye zu: Wir bekamen einige der Sehenswürdigkeiten Prags zu sehen, zum Beispiel das Tanzende Haus oder das Denkmal für die Opfer des Kommunismus. Am frühen Nachmittag wurde es kreativ: Wir bereiteten einen Teil des Kinderprogramms für das Deutsch-Tschechische Picknick auf dem Vyšehrad vor. Später unterstützten wir die Ackermann-Gemeinde bei einer Wette mit dem tschechischen Außenminister Jakub Kulhánek um ein Fass Bier. Das Ziel war es, mindestens 27 schwimmende Objekte mit jeweils einer europäischen Flagge auf der Moldau fahren zu lassen. Wir besorgten Tretboote und Flaggen und los ging es...
Vojtěch: Schlussendlich waren sogar 29 Boote auf der Moldau mit allen Flaggen, deshalb gewann die Ackermann-Gemeinde (unser Dachverband) die Wette - und direkt nach dem Happening wurde das Fass mit dem Bier angezapft.
Jan: Nach einem entspannten restlichen Nachmittag gab es die Möglichkeit, das Konzert der Kulturwoche Rohrer Sommer der Ackermann-Gemeinde zu besuchen. Das Orchester spielte Stücke von Neruda und Benda, der Chor wiederum präsentierte eine Auswahl von Antonín Dvořák.
Deutsch-Tschechisches Picknick auf dem Prager Vyšehrad
Jan: Das Deutsch-Tschechische Picknick am Samstag begann mit einer zweisprachigen Messe in der Basilika St. Peter und Paul, begleitet vom Chor des Rohrer Sommers.
Vojtěch: Der Tag stand ganz im Zeichen der Feier des 75. Jubiläums der Ackermann-Gemeinde, die im Jahre 1946 gegründet wurde. Die Veranstaltung fand auf dem Prager Vyšehrad statt. Nach dem Gottesdienst in der Basilika startete ein vielfältiges Programm, das Diskussionen, Vorträge, Präsentationen der Partnerorganisationen und Kreativ- und Kinderaktivitäten umfasste. Zu dem Kinderprogramm trug auch unsere Gruppe organisatorisch bei. Das Beste an der Veranstaltung war für mich aber die Möglichkeit, viele bekannte Gesichter nach einer oft langen Zeit wiederzusehen und mich mit den Leuten zu unterhalten.
Vojtěch:
Am Sonntag ging eine tolle Woche zu Ende. Ich persönlich war sehr froh, an der Sommerwoche teilgenommen zu haben. Es machte mir Spaß, alte Freunde und Bekannten zu treffen, sowie auch neue Leute kennenzulernen. Aber nicht nur das – der freundliche Obdachlose mit seiner traurigen, aber interessanten Geschichte, der Tag am Bauernhof oder die Jubiläumsfeier bleiben auch stark und lange in meinem Gedächtnis.