Pfarrer Schwartz im Gespräch mit Tetiana Stawnychy (Präsidentin der Caritas Ukraine) und Levhenia Lazarenko in einem Transitzentrum in Novovolynsk.
Pfarrer Schwartz im Gespräch mit Tetiana Stawnychy (Präsidentin der Caritas Ukraine) und Levhenia Lazarenko in einem Transitzentrum in Novovolynsk.
Quelle: Philipp Spalek
08.07.2022 – Reisebericht

Ukraine-Blog: Den Menschen beistehen

Pfarrer Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer von Renovabis, war Anfang Juli unterwegs in der Ukraine, um sich einen Eindruck über die Situation zu verschaffen und mit Projektpartnern zu sprechen. Während der fünftägigen Reise hat er seine Erlebnisse in Wort und Bild festgehalten.

Eindrücke, Erlebnisse, Begegnungen aus der Ukraine

Von Renovabis-Hauptgeschäftsführer Professor Thomas Schwartz

4. Juli 2022

Flucht und Vertreibung

Wenn man mit den Menschen spricht, die 2014 erst aus Luhansk und jetzt aus Sjewjerodonezk fliehen mussten und die zweimal ihre gesamte Habe und die meisten ihrer Erinnerungsstücke aus einem ganzen Leben verloren haben, dann wird man demütig und weiß, dass jede Hilfe, die wir zur Verfügung stellen, wirklich sinnvoll ist. Und es macht bescheiden, zu sehen, mit wieviel Mut und Kraft diese Menschen das Leben mit allen Härten zu meistern versuchen. Eine der Frauen, die wir treffen, erzählt, dass sie mit ihren Kindern und mit ihren Katzen über Kramatorsk in den Westen des Landes geflohen ist. Ihr Mann ist Soldat und kämpft an vorderster Front gegen die Invasoren.

5. Juli 2022

Zukunftsträume

Unser Fahrer von der Caritas Ukraine, Alexander, arbeitet als Koordinator für Nothelfer der Caritas. Er kommt aus Mariupol. Dort ist in den Kriegswirren seine Familie ums Leben gekommen. Er ist 34 Jahre alt und hat vergangene Woche geheiratet. Seine Frau Julia und er wollen als Ehepaar und Familie in Bucha ein zerstörtes Haus wieder aufbauen und dort ein neues Leben beginnen - als Zeichen der Hoffnung und Zukunft für das Land. Neben diesen großen Wünschen träumen die beiden davon, bald mit einem großen Fest die kirchliche Trauung begehen zu können.

5. Juli 2022, Teil 2

Tod, Elend und Zerstörung

Wenn man vor diesen ausgebrannten Panzern steht, fragt man sich, wofür diese jungen Leute ihr Leben gegeben haben. Für eine Ideologie, die ihnen eingeflüstert hat, die Ukraine zu erobern sei ein Spaziergang und sie würden mit offenen Armen von der Bevölkerung begrüßt werden? Es macht traurig und fassungslos, dass mitten in Europa Menschen in kriegerischen Auseinandersetzungen ihr Leben verlieren müssen, weil Politiker meinen, so ihre Vorstellungen von erfolgreicher Weltpolitik und Wiedererlangung nationaler „Größe“ durchsetzen zu können - und am Ende gibt es nur Tod, Elend und Zerstörung. Großmannssucht von elitären Kleingeistern…

6. Juli 2022, Luftalarm

Luftalarm in Kiew (2:51 Uhr)

Die Sirenen fangen an zu heulen, die Alarm-App, die man mir im Hotel auf mein Handy geladen hat, spielt verrückt; ein Anruf von der Rezeption: Es sei ein Luftangriff zu erwarten, ich solle den Schutzraum aufsuchen. Was seit Monaten für viele Menschen in der Ukraine „normal“ geworden ist, wird für mich zu einer albtraumhaften Realität. Was zieh' ich ganz schnell an? Ach, das Hemd von gestern Abend und einen Pullover – es soll ja die nächsten Tage Regen geben und kühl werden. Was kommt in meinen kleinen Rucksack? Ich entscheide mich für meinen Pass, meinen Geldbeutel, frische Unterwäsche für den kommenden Tag und mein Mobiltelefon. Mehr geht nicht rein. Im Schutz der Tiefgarage merke ich, dass ich kein Ladekabel mitgenommen habe. Egal. Ich bin so müde, dass ich es den anderen (wenigen) Gästen, die auch in den Luftschutzkeller (eigentlich die tiefste Parkebene des Hotels) mitgekommen sind, gleichtue. Ich lege mich auf ein provisorisches Bett – und schlafe ein. Nach einer Stunde: Entwarnung. Für viele Menschen hier ist das seit dem 24. Februar ihr tägliches und vor allem nächtliches „Ritual“. Ich bin jetzt schon gerädert – ein Volk wird mit Schlafentzug gefoltert!

6. Juli 2022, Teil 2

Geschmack des Lebens

Der polnische Oblatenbruder Sebastian arbeitet seit Jahren in Kiew. Dort hat er nicht nur eine Suppenküche aufgebaut, die an die zahllosen gestrandeten und obdachlosen Menschen in der ukrainischen Hauptstadt an verschiedenen Orten Mahlzeiten verteilt. Sein Engagement für die Menschen am Rande der Gesellschaft geht viel weiter. Sein Ziel ist es, dass sie wieder Geschmack am Leben finden. „Jeder Mensch muss seine eigene Würde erst wieder entdecken, wenn sie ihm genommen worden ist", sagt der Ordensmann.
So geht er mit 20 bis 30 Wohnungslosen einmal alle drei Monate zu geistlichen Einkehrtagen in ein altes Kloster. „Die Menschen sind nach fünf Tagen nicht wiederzuerkennen", berichtet der katholische Bischof von Kiew, Vitalij Kryvitskiy, über seine Erfahrungen mit Bruder Sebastian. „Eine Woche zuvor waren noch viele dieser Menschen verwahrlost und ungepflegt. Nach wenigen Tagen mit Sebastian käme man nicht mehr auf den Gedanken, dass man es bei ihnen mit Obdachlosen und Gestrandeten zu hat." Er vermittelt ihnen nicht nur Hygieneartikel, sondern schenkt ihnen eine echte Seelenhygiene und gibt ihnen das zurück, was sie aus tiefstem Herzen ersehnen: ihre Würde. Heilige des Alltags begegnen mir in der Ukraine fast an jeder Ecke. Es ist unglaublich beeindruckend!

6. Juli 2022, Teil 3

Zerbombtes Wohnhaus in Irpin

Helena, eine ehrenamtliche Helferin der Caritas in Irpin, zeigt mir ihr völlig ausgebranntes Haus. Von ihrem einst schmucken Eigenheim und ihrer modernen neuen Küche ist ihr nichts geblieben als ein paar Tassen. Alles andere ist dem Beschuss russischer Granaten zum Opfer gefallen. Trotzdem arbeitet sie weiter von morgens bis abends bei der Caritas als Freiwillige mit. Sie verteilt Essen an andere ausgebombte Familien, kümmert sich um alte Menschen und versucht, ihre Kreativität zu nutzen und bastelt kleine Engel für verwundete Soldaten. Die studierte Mathematikerin sagt, dass ihr Glaube ihre Stütze sei. „In der Bibel lese ich, geben ist seliger als nehmen. Deswegen gebe ich, was ich kann. Nehmen kann man mir ja eigentlich nichts mehr. Ich habe ja schon alles verloren“, sagt sie mit einem offenen Lächeln, das mich in seiner Ehrlichkeit tief beeindruckt.

6. Juli 2022, Teil 4

Ruine des zerstörten Kulturpalastes

Vor dem Krieg wurden hier Konzerte gegeben, Theateraufführungen gezeigt, Ausstellungen veranstaltet. Das Kulturzentrum von Irpin war ein Magnet für die Menschen dieser Stadt. Jetzt ist es völlig zerstört. Ausgebrannt und zerbombt liegen die Räume da, die vorher für die Menschen Orte der Kultur und Quellen der Inspiration gewesen sind. Was übrig geblieben ist strahlt nur noch den Atem der Gewalt und des Todes aus.
„Wir werden unseren Kulturpalast wieder aufbauen“, sagt Volodimir, ein Mann, den wir bei der Besichtigung der Ruine kurz treffen. „Und zwar schöner und besser als er früher war!“
Seine Worte sind ein beredtes Zeugnis für den Willen der Menschen hier, sich nicht unterkriegen zu lassen. Der Krieg ist auch eine Gewalttat gegen die ukrainische Kultur als solche. Und ich merke: Die Menschen wollen nicht nur ihre Freiheit, sondern auch ihre nationale und kulturelle Identität verteidigen.

7. Juli 2022, Teil 1

Die Michaelskirche in Kiew

Die Statue der Heiligen Olga, der Mutter des Heiligen Volodymyr des Großen, der als Fürst der Kiewer Rus im Jahre 988 sein Volk zur Taufe geführt hat, ist mit Sandsäcken vor Raketen und Granaten geschützt. Im Hintergrund ist die Michaelskirche zu sehen. Der heilige Michael gilt von alters her als tatkräftiger Helfer gegen das Böse.
Die Menschen in der Ukraine sehen sich von bösen Mächten angegriffen. Sie wollen keinen Krieg, aber sie wollen auch nicht von einem gewaltbereiten Aggressor beherrscht werden. Sie möchten sich und ihre Kinder schützen. Dafür brauchen sie unsere Hilfe und diesen Hilferuf sollten wir hören. Wir müssen dazu nicht wie der Erzengel Michael selbst in den Kampf ziehen, aber mit unserer Solidarität können wir für die Menschen hier im Land zu einer Art „Schutzengel für Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit“ werden.

7. Juli 2022, Teil 2

Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Lviv

Alexander und Julia sind seit 14 Jahren zusammen. Sieben Kinder hat das Ehepaar bereits, das achte ist unterwegs. Alexander arbeitet als Maurer und hatte es schon in seiner Heimatstadt im ukrainischen Oblast Dnipropetrowsk nicht leicht, seine große Familie zu ernähren. Nun mussten sie vor dem Krieg fliehen. In einem Flüchtlingsheim der römisch-katholischen Erzdiözese Lemberg ist die Familie vor knapp acht Wochen untergekommen. Der Erzbischof von Lemberg, Mieczyslaw Mokrzycki und ich besuchten heute die Familie, die zusammen mit 150 anderen Binnenflüchtlingen in einer Pfarrei am Ortsrand von Lemberg Zuflucht gefunden hat. Die Kinder umarmen den Bischof. Er kennt sie alle mit ihrem Namen. Hier wird Solidarität und Nächstenliebe nicht anonym geleistet. Und auch für mich haben auf dieser Reise die Hilfen von Renovabis menschliche Gesichter bekommen: Ein beglückendes Gefühl der Sinnhaftigkeit unserer Arbeit!

8. Juli 2022

Lviv: Kinder ohne Väter

Mit Lubomir Jaworsky, dem Patriarchalökonomen der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine, besuche ich die ehemalige Jesuitenkirche in Lviv, die jetzt als Kirche der Militärangehörigen dient. Lubomir hat über Jahre hinweg als oberster Militärpfarrer seiner Kirche gedient und war selbst von Anfang an in den Kriegswirren im Donbass als Geistlicher nahe bei den Soldaten. Er zeigt mir nicht nur Hunderte von Bildern gefallener Soldaten und Soldatinnen aus der Region Lviv, von denen er etliche persönlich kannte. Er macht mir auch in eindrücklicher Weise deutlich, wieviel Elend, Trauer und Einsamkeit der Krieg über die Familien von verwundeten und gefallen Militärangehörigen bringt. Einige der Kinder auf den Fotos sind durch den Krieg zu Vollwaisen geworden, weil der Vater gefallen und die Mutter Opfer eines russischen Raketenangriffs geworden ist. „Wir kämpfen nicht aus Rache oder aus Vergeltung“, sagt Lubomir. „Wir kämpfen vielmehr dafür, dass diese Kinder eine Zukunft in unserem Land haben, dafür, dass ihre Eltern nicht umsonst gestorben sind.“ Die Menschen verteidigen ihre Heimat, damit sie auch die Heimat ihrer Kinder und Kindeskinder bleiben kann. Man mag am Konzept eines gerechten Krieges zweifeln. Aber eine gerechte Verteidigung muss möglich sein und sollte von allen Menschen und Staaten guten Willens unterstützt werden.

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Projektbeispiel

Schutz und Sicherheit für Menschen in der Ukraine

Renovabis verurteilt die Kriegshandlungen aufs Schärfste. Mit unseren Partnern in der Ukraine tun wir deshalb alles in unserer Macht Stehende, um den Menschen im Land und auf der Flucht zu helfen. Dabei hoffen wir auf Ihre Unterstützung.
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Ukraine

Wo das Leid unvorstellbar ist

Die katholische Kirche gibt den Menschen in der Ukraine Kraft. Mit Unterstützung von ausländischen Partnern wie Renovabis begannen gleich nach Kriegsbeginn humanitäre Soforthilfe-Maßnahmen. Eine Reportage von Markus Nowak.
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Inhalt erstellt: 05.07.2022, zuletzt geändert: 26.07.2022

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