Titelseite der Aachener Nachrichten vom 8. Mai 1945
Ausgabe der Aachener Nachrichten vom 8. Mai 1945. Als erstes freies Blatt konnten die Aachener Nachrichten die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 vermelden.
Quelle: gemeinfrei / Wikimedia Commons
07.05.2020 – Rückblick

8. Mai 1945: Erinnerung und Mahnung

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Wegen der Corona-Pandemie werden Gedenk-Veranstaltungen verschoben oder abgesagt – dennoch darf und wird dieser Tag nicht einfach in den Annalen als Datum abgehakt werden.

Ein Beitrag von Christof Dahm

Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Weit über 50 Millionen Menschen verloren ihr Leben, die meisten aus mittel- und osteuropäischen Nationen. Das Ende dieses verheerenden Krieges jährt sich am 8. Mai zum 75. Mal. Die Erinnerung an dieses Datum, das einmal mehr die Bedeutung von Frieden, Völkerverständigung und Versöhnung deutlich macht, wird gegenwärtig durch die Covid-19-Pandemie überlagert mit der Folge, dass zahlreiche Gedenkakte verschoben werden oder ganz abgesagt worden sind. Dennoch sollte dieser Tag nicht einfach in den Annalen als Datum abgehakt werden, denn es geht um mehr. Auch wenn die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs durch umfangreiches Archivmaterial dokumentiert sind, auch wenn in Film, Ton, den Print- und sozialen Medien gerade in den letzten Monaten immer wieder auf wichtige Einzelereignisse hingewiesen wird (ein Beispiel für viele: 27. Januar, Auschwitzgedenken) – die lebendigen Erinnerungen verblassen, denn die letzten Zeitzeugen sterben, das Datum wird zum Teil der Geschichte wie andere Daten auch.

Falsches Pathos im Sinne von „Das darf nicht sein“ ist freilich nicht angebracht. Jede Epoche der Menschheitsgeschichte hatte ihre Katastrophen; man denke nur an das Schicksalsjahr 1918 und den Ersten Weltkrieg oder an 1648 und den Dreißigjährigen Krieg, von den Zeitgenossen im Rückblick ähnlich empfunden wie der Zweite Weltkrieg. „Die Zeit heilt Wunden“ – das ist sicher richtig, aber Narben bleiben und ungelöste Probleme kommen wieder, meist zur Unzeit. Für den 8. Mai 1945 gilt dies vielleicht noch mehr als für die erwähnten Beispiele. Hierzu hat 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Worte gefunden, die damals sehr umstritten, aber zugleich sehr notwendig waren:

„Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen … Verbittert standen Deutsche vor zerrissenen Illusionen, dankbar andere Deutsche vor dem geschenkten neuen Anfang.“

Bitterkeit, Verzweiflung auf der einen Seite – Dankbarkeit auf der anderen Seite. Genau daran sollte man auch heute, 75 Jahre danach, denken und sich bewusst sein, wie schnell Deutschland nach 1945 nicht zuletzt dank der Hilfe und Solidarität vor allem der westeuropäischen Nachbarn und der USA ein beispielloser Wiederaufstieg gelang, zu dessen positiven Folgen auch die Entstehung der Europäischen Gemeinschaften seit 1950 (Beginn 1950: Schuman-Plan, nur 5 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs!) gehört. Vielleicht war das alles zu schnell – Schuld zu schnell verdrängt – und vor allem verdrängt, dass zur Niederlage von 1945 das Datum 1933 gehört.

In der heutigen Krise Europas, bei der die Covid-19-Krise die bereits seit 2015 erkennbaren Krisen, vor allem die immer stärkeren nationalen Egoismen in vielen Ländern, verstärkt hat, sollte man auch 1945 und dessen Vorgeschichte bedenken. Hier ist es für Renovabis Verpflichtung, an die Partnerländer in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zu erinnern, die während des Zweiten Weltkriegs Hauptleidtragende waren und nach 1945 nicht die großen Chancen hatten, die Deutschland gegeben wurden – im Gegenteil: Mit der Entstehung des Eisernen Vorhangs und der Sowjetisierung des Ostteils unseres Kontinents verloren diese Länder gewissermaßen ein zweites Mal den Krieg und wurden über 40 Jahre in der Entwicklung zurückgeworfen. Zwar haben die friedlichen Revolutionen 1989/90 dann einen Aufholprozess eingeleitet, aber viele alte Probleme blieben ungelöst und sind Teil der heutigen Krise Europas.

Bundespräsident von Weizsäcker zitierte in seiner Ansprache ein altes jüdisches Wort „Das Vergessenwollen verlängert das Exil, und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung." In einer Zeit wachsender Geschichtsvergessenheit lohnt es sich, über dieses Wort nachzudenken, gerade auch im Blick auf die neuen Risse, die sich innerhalb Europas in Ost und West auftun. Mehr denn je ist Solidarität gefordert, und Deutschland, das bis heute von der Solidarität anderer profitiert, sollte bei aller berechtigter Kritik an manchen Entwicklungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa sich daran erinnern, was zwischen 1933 und 1945 in und von Deutschland aus geschehen ist – und was nach 1950 möglich geworden ist, als Gegner und Feinde die Hand zur Versöhnung ausgestreckt haben.

„Friede – Unfriede – Krieg“

Die zweite Ausgabe des 21. Jahrgangs (2020) der Zeitschrift „OST-WEST. Europäische Perspektiven“ trägt den Titel „Friede – Unfriede – Krieg“ und erscheint im Mai.
Neben theologischen, philosophischen und völkerrechtlichen Dimensionen von „Frieden“ und „Krieg“ enthält der Band auch Artikel zu Friedensschlüssen nach Kriegen und zum deutsch-französischen Verhältnis als Beispiel für eine überwundene „Erbfeindschaft“.

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Inhalt erstellt: 07.05.2020, zuletzt geändert: 08.05.2020

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