Quelle: Christopher Dietrich
Tag 1 - Es geht los!
Am Sonntagnachmittag war es endlich so weit: Das Sommer Camp am Loyola-Gymnasium in Prizren hat begonnen. 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind am ersten Tag angereist. Morgen werden noch einmal 70 weitere erwartet. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern: aus dem Kosovo, Albanien, Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Madagaskar, England und den USA. Aus Prizren selbst werden Schüler der Loyola-Schule und die Jugendlichen aus dem Roma-Ashkaliviertel Tranzit dabei sein. Und alle verbindet ein gemeinsames Ziel – sie suchen die Begegnung mit anderen jungen Menschen.
Im Laufe der Woche werden sie gemeinsam mit der Regisseurin Fjolla Hoxha ein Theaterstück erarbeiten, bei dem es um das Thema der arrangierten Ehen geht. Diese frühen Hochzeiten sind ein weit verbreitetes Phänomen im Kosovo. Während des Sommer Camps werden die Jugendlichen eigenständig erarbeiten, was sie später in öffentlichen Aufführungen auf der Bühne zeigen werden: vom Tanz und der Musik bis hin zu den Kostümen und der Kulisse.
Quelle: Christopher Dietrich
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Tag 2 - Musik verbindet!
Wenn über 160 Menschen zusammenkommen, kann die Verständigung durchaus kompliziert sein, vor allem dann, wenn nicht alle dieselbe Sprache sprechen. Und hier im Sommer Camp hört man hinter der einen Tür ein Gespräch auf Albanisch, während sich nebenan Camp-Teilnehmer auf Französisch unterhalten. Und natürlich muss sich das große und internationale Leitungs-Team am Beginn des Camps auch erst einmal selbst organisieren. Hinzu kommen die unterschiedlichen kulturellen und religiösen Vorstellungen der Teilnehmer, denn schließlich setzt sich die Gruppe des Camps sowohl aus Muslimen als auch Christen zusammen.
Doch in jedem Chaos zeigt sich, dass es eine Verständigung jenseits davon gibt: Die Musik. Sie vermittelt Rhythmus und Gefühl und lässt einen gemeinsamen Geist über alle vermeintlichen Grenzen hinweg spüren.
Diese Verbindung der Musik ist es, die auch den Alltag des sozialen Projektes „Loyola Tranzit“ im Stadtviertel Tranzit belebt. Seit fast zwei Jahren gibt es ein umfassendes Programm für die bis dahin isolierte Gemeinschaft der Roma-Ashkali, deren Viertel am Stadtrand Prizrens nur fünf Minuten von dem privaten Jesuiten-Gymnasium entfernt liegt. Das Projekt zeichnet sich durch ein Programm aus, das eine Musikschule, Kinderbetreuung und Schulbegleitung umfasst und auf persönlichen Beziehungen zwischen den Loyola-Schülern, den Ashkali-Familien und albanischen Musiklehrern basiert. Weitere Infos zum Loyola Tranzit-Projekt.
Tag 3 - Zu Besuch im Atelier-Workshop
Ein Theaterstück, bei dem so viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mitwirken, wird natürlich auf unterschiedlichen Ebenen vorbereitet. Jeden Tag probt beispielsweise das Orchester eigens für die Vorstellung arrangierte Stücke. Die Kostüme werden von den Camp-Teilnehmern in einem Workshop selbst angefertigt und in einem weiteren wird die Tanzchoreographie einstudiert.
Im „Atelier“-Workshop können die Camp-Teilnehmer kreativ arbeiten. Sie malen Bilder, die später verschenkt werden oder helfen beim Bau der Kulissen für die Aufführung. Emilia und Daphne aus Deutschland und Anna-Maren aus der Schweiz haben den Workshop vorbereitet. Sie engagieren sich derzeit als Volontärinnen im Kosovo und in Montenegro in der Schule und im „Loyola Tranzit“-Projekt. Ihnen ist wichtig, dass sich alle Teilnehmer, auch die jüngeren Kinder, bei der Vorbereitung des Theaterstückes einbringen können. Arbeitssprache in ihrem Workshop ist Albanisch, doch nicht jeder versteht die Sprache. „Sich zu verständigen ist aber gar kein Problem“, erzählt Emilia. „Denn das geht immer auch mit Händen und Füßen.“
Quelle: Christopher Dietrich
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Tag 4 - Das Camp ist international
Wenn man fragt, was das Sommer Camp auszeichnet, muss man vor allem sagen: Es ist international. Viele Teilnehmer kommen natürlich aus dem Kosovo. Doch darüber hinaus sind noch einige weitere Länder vertreten.
So hat sich auch eine Gruppe von sieben Studierenden der „Jonas Foundation“ aus Genf auf den Weg in den Kosovo gemacht. Gebürtig kommen sie aus verschiedenen Ländern: aus Frankreich, England, Madagaskar und der Schweiz. Hier im Camp besuchen sie jeden Morgen Tranzit, um dort mit den Kindern zu spielen und die Ashkali-Familien kennen zu lernen. Laura, die in Lausanne Architektur studiert und zum ersten Mal den Kosovo besucht, beeindrucken die täglichen Besuche im Roma-Viertel: „Einen Ort wie diesen zu sehen, hat mich überrascht und die Armut wirklich schockiert. Trotzdem lächeln und lachen die Kinder immer."
Quelle: Christopher Dietrich
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Tag 5 - Richtfest in Tranzit
Am Morgen des fünften Tages haben sich alle Camp-Teilnehmer aufgemacht, um beim Richtfest der neuen Schule in Tranzit dabei zu sein. Noch wird ein Wohnhaus für die Kinderbetreuung, Schule und den Musikunterricht des „Loyola Tranzit“-Projektes genutzt. Doch im September steht der Umzug in das neue, viel größere, Schulgebäude bevor. Gemeinsam mit den Bauarbeitern wurde nun ein kleines Fest gefeiert, bei dem auch das Orchester des Sommer Camps die musikalische Gestaltung übernahm.
Dass alle Jugendlichen des Camps am Richtfest teilnehmen, ist selbstverständlich. Denn ohne das „Loyola Tranzit“-Projekt würde es das Sommer Camp gar nicht geben. Die Jugendlichen, die sich in Tranzit engagieren, haben das Camp nämlich ins Leben gerufen.
Quelle: Christopher Dietrich
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Tag 6 - Proben, proben, proben!
Am letzten Tag vor der Aufführung hieß es vor allem: proben, proben, proben. Das Orchester ging noch einmal alle Stücke durch. Die Ballett- und Hip Hop-Tänzer feilten an ihrer Performance. Und auch die jüngeren Teilnehmer übten ihre Trommel-Einlagen. Alle waren sehr gespannt, wie die Aufführung am nächsten Tag wohl werden würde.
Tag 7 - Ein gelungener Abschluss des Sommer Camps
Am Abend des siebten Tages war es so weit: Die Aufführung des Stückes „Duvaku“, was auf Albanisch „Schleier“ bedeutet, stand endlich an. Alle Camp-Teilnehmer fuhren dazu in das Theater „Lumbardhi“ im Stadtzentrum von Prizren.
Viele Zuschauer kamen zur Aufführung. Das Theater war bis auf den letzten Platz belegt. Das Stück handelt von zwei Jugendlichen, die sich in einer Tanzschule kennen lernen und füreinander Gefühle entwickeln. Doch die Eltern der Protagonistin entscheiden plötzlich, dass sie einen für sie völlig fremden und älteren Mann heiraten soll. Das bringt sie natürlich vollkommen aus der Bahn. Damit gibt die Handlung wieder, was sich in Wirklichkeit tatsächlich abspielt. Das Stück endet aber mit einem Happy End: Die Freunde der Braut verhindern, dass die Eheschließung stattfinden kann.
Im Anschluss an die Aufführung kamen alle Camp-Teilnehmer zur „After Show Party“ zusammen. Nach einer Woche Sommer Camp waren alle wohl ziemlich müde, aber mindestens genau so dankbar für die geteilten Erfahrungen und entstandene Gemeinschaft.
Hintergrundinfo: das Loyola-Gymnasium und Tranzit
Knapp 10 Jahre nach Erreichen der Unabhängigkeit herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung Kosovos große Ernüchterung und tiefe Unzufriedenheit über die politische Gesamtlage, über Korruption und Vetternwirtschaft, vor allem aber über die prekäre wirtschaftliche und soziale Situation.
Das Loyola-Gymnasium in Prizren ist in dieser Situation ein Leuchtturm-Projekt. Von der Aufnahme des Schulbetriebes 2005/2006 entwickelte sich die Schülerzahl von damals 165 auf nunmehr fast 700; im Schuljahr 2013/14 wurde das schulische Angebot durch eine Grundschule ergänzt, sodass nun Schülerinnen und Schüler von der ersten Klasse bis zum Abitur unterrichtet werden können. Neben der quantitativen Entwicklung wurde von Anfang an auf Qualität gesetzt, so dass das Gymnasium heute zu den besten Schulen des Kosovo zählt und auf solidarisches Handeln Wert legt.
Ein Beispiel dafür: ältere Schülerinnen und Schüler begannen ab September 2016 mit Besuchen in einem der Schule benachbarten Wohnviertel von Familien der Roma- und Ashkali-Minderheiten. Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter, kurz Roma, gehören überall in Europa zu den am stärksten ausgegrenzten Volksgruppen.
Sie leben meist am Rande der Gesellschaft, schon die Kinder werden gemieden und kaum gefördert. Besonders schlimm ist die Situation aber im Kosovo. Nach den Bürgerkriegen leben hier bis zu 45.000 Menschen in Armenvierteln und Notlagern. Eines dieser Viertel, das aus (Not-)lagern entstanden ist, ist das Viertel „Tranzit“, benannt nach der Straße, an der die Siedlung liegt. Rasch entstand das Anliegen der Gymnasiasten, den schulfernen Kindern und Jugendlichen des Viertels grundlegende Fähigkeiten des Lesens und Schreibens beizubringen, also ihre eigene (privilegierte) Bildung mit ihnen zu teilen. Dieser Unterricht fand anfangs auf großen Teppichen unter freiem Himmel statt.
Zum Schuljahr 17/18 sind fünf der ehemaligen Schulabbrecher- bzw. Schulverweigerer-Kinder aus Tranzit wieder oder erstmals in einer Regelschule angemeldet. Um diese Arbeit in geeigneten Räumlichkeiten fortzuführen, wird nun, unterstützt von Renovabis, ein sozialpädagogisches Zentrum errichtet.