Vor 50 Jahren, als trotz der langsam anlaufenden Entspannungspolitik zwischen dem „freien Teil Europas“ und dem „Ostblock“ das gegenseitige Misstrauen noch sehr groß war, reiste Bundeskanzler Willy Brandt als erster westdeutscher Regierungschef nach Warschau. Konkret ging es um die Unterzeichnung eines Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, in dem unter anderem die Unverletzlichkeit der polnischen Westgrenze, der Oder-Neiße-Grenze, festgeschrieben wurde.
Vorgesehen war am 7. Dezember 1970 auf der Fahrt durch Warschau auch eine Kranzniederlegung vor dem Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos. Was dann aber geschah, kam völlig unerwartet und durchbrach das starre Protokoll – statt wie üblich nur die Kranzschleife zu richten, kniete Willy Brandt nieder und verharrte mit bewegungslosem Gesicht für eine halbe Minute vor dem Denkmal. In seinen Erinnerungen bemerkte er dazu: „Immer wieder bin ich gefragt worden, was es mit dieser Geste auf sich gehabt hatte. Ob sie etwa geplant war? Nein, das war sie nicht … Ich hatte das Empfinden, ein Neigen des Kopfes genügt nicht.“
Heute ist es kaum mehr nachvollziehbar, dass dieser Kniefall – ein Signal des Eingeständnisses deutscher Schuld, noch dazu von einem Deutschen, der als Emigrant und Widerstandskämpfer auf der „anderen Seite“ gestanden hatte – damals auf ein geteiltes Echo stieß. Im kommunistischen Polen und in der DDR wurde er offiziell totgeschwiegen, in Westdeutschland hielt die Mehrheit der Bevölkerung ihn laut Meinungsumfragen für „übertrieben“, was sicher auch mit der leidenschaftlichen Diskussion um das Für und Wider der Entspannungspolitik zusammenhing. Dass das Signal weltweit anders aufgenommen und als ein Symbol des neuen, demokratischen Deutschlands verstanden wurde, das sich zu seiner Verantwortung für die Verbrechen der Vergangenheit bekannte, wurde deutlich sichtbar, als Willy Brandt 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Christof Dahm, Renovabis
Seit dem Jahr 2000 erinnert eine Gedenktafel in Warschau an den Kniefall; seit Oktober 2020 ist eine 2-Euro-Gedenkmünze im Umlauf, die ebenfalls an Willy Brandts Geste erinnert.
- Leseempfehlung: Kniefall, Denkmäler, Kränze, Gebete. Die Politik der Gesten und Bilder in den Außenbeziehungen Polens – von Peter Oliver Loew (Deutsches Polen-Institut, Darmstadt)
- Dokumentation auf 3sat: „Der Kniefall von Warschau – Die Macht der Erinnerung“ - (steht bis 22. 11. 2021 in der Mediathek zur Verfügung).