Straßenszene in Chișinău in der Republik Moldau
Straßenszene in Chișinău in der Republik Moldau
Quelle: Markus Nowak
Republik Moldau

Engagiert für den Frieden in unfriedlichen Zeiten

Im Schatten des Krieges und eines eingefrorenen Konfliktes arbeiten Menschen in der Republik Moldau an einer Zukunft. Eine Reportage von Markus Nowak

Unterwegs in der Republik Moldau

Auf den letzten Metern vor der Stadt Bender, eine Autostunde südöstlich von Chișinău, wird die Straße holprig. Der alte VW-Bus von Pater Roman Gorincioi schluckt tapfer die Schlaglöcher und schaukelt. Bald sind auch die Grenzbeamten zu sehen - zuerst die der Republik Moldau, dann die von Transnistrien. Letztere fragen Pater Roman, ob er etwas zu verzollen hat. „Manchmal durchsuchen sie mein Gepäck“, sagt er, als er die Grenze passiert. Seine Einkäufe und persönlichen Dinge versucht er daher immer so im Bus zu verteilen, dass sie keinen Verdacht erwecken und er schnell durchgewunken wird.

Bevor er in Bender einfährt, passiert Pater Roman noch einen Posten mit schwerbewaffneten Soldaten mit blau-weiß-roten Abzeichen. „Das sind die sogenannten Friedenstruppen. Rund 1500 gibt es von ihnen, sie wurden von Moskau geschickt.“ Anfang der 1990er Jahre war das, sagt der 38-Jährige. Er war sechs Jahre alt, als 1991 die Sowjetunion auseinanderbrach. Kurz darauf erklärten sich Separatisten am Ostufer des Dniestr für unabhängig von der sich gerade konstituierenden Republik Moldau. 1992 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Chișinău und der abtrünnigen Region.

Eingefrorener Konflikt seit 30 Jahren

Heute hat Transnistrien zwar eine eigene Regierung und eine eigene Währung, wird aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt – eine Situation, die häufig als „eingefrorener Konflikt“ bezeichnet wird.

Der Politikwissenschaftler Ivan Țurcan stellt diese Bezeichnung jedoch in Frage. Er arbeitet für die Regierung in Chișinău im „Büro für Reintegration“. Dieses Amt versucht, die Lebensumstände der beiden Konfliktparteien anzupassen, etwa mit Studienzuschüssen für Studierende aus Transnistrien. „Kann man es noch als einen eingefrorenen Konflikt bezeichnen, wenn die Menschen keine Meinungsfreiheit haben und sich nicht frei bewegen dürfen?“, lautet die rhetorische Frage von Ivan Țurcan im Hinblick auf die Situation in Transnistrien. Dort würden die Menschen täglich mit Menschenrechtsverletzungen des Regimes in Tiraspol konfrontiert, berichtet er.

Auf diplomatischer Ebene versuchen die Republik Moldau und Transnistrien, sich mit langsamen Schritten anzunähern. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hat jedoch die Fronten zwischen der EU-freundlichen Regierung in Chișinău und der prorussischen in Tiraspol, der „Hauptstadt“ Transnistriens, wieder verhärtet.

Mit Pater Roman geht es in Richtung Tiraspol. Er ist einer von sieben Herz-Jesu-Priestern, die in der abtrünnigen Region Transnistrien für die katholischen Gläubigen da sind. Der Pater ist erst seit einem halben Jahr wieder zurück in Moldau, zuvor lebte er mehrere Jahre in Deutschland – erst in Berlin, später in der Eifel, wo er im Bistum Trier Kaplan war.

Auf die Frage, wie die Menschen auf den russischen Angriffskrieg im Nachbarland Ukraine reagieren, lässt er lieber Pater Piotr Kuszman antworten. Kuszman ist polnischer Ordensmann und lebt seit 30 Jahren in der Region. Sein Anliegen war es, nach dem Transnistrien-Krieg für die Menschen mit ihren Traumata da zu sein – Traumata, die bis heute vorhanden seien, sagt Pater Piotr. Er berichtet von einer prorussischen und antiwestlichen Haltung der Bevölkerung in der abtrünnigen Region, eine Mehrheit wolle tatsächlich einen „Sieg Russlands über die Ukraine“. Der Pater: „Anfangs habe ich noch angesprochen, welch’ Ungerechtigkeit und Unglück jeder Krieg ist“, erinnert sich der Sechzigjährige. Eine Reaktion der Gläubigen sei jedoch ausgeblieben. Er ergänzt: „Jetzt beten wir immerhin für den Frieden“, aber Flüchtlingshilfe leistet der Priester allein.

Eine weitere Folge des Kriegs, aber auch der Sowjetzeit in Transnistrien seien gesellschaftliche Missstände, darunter Korruption, ein hohes Maß an häuslicher Gewalt und die Verwahrlosung von Kindern. Als Antwort auf die vielen Straßenkinder in Tiraspol eröffnete Pater Piotr eine Suppenküche für bedürftige Heranwachsende. Daraus ist in der Folgezeit das Kinderzentrum „Petrushka“ entstanden: Es bietet heute nicht nur Notunterkünfte für Straßenkinder an, sondern vielfältige Angebote für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. „Sie sollen einmal eine Chance haben“, sagt Pater Piotr – und erzählt von „Petrushka“-Kindern, die erfolgreich im Berufsleben angekommen sind, manche hätten sogar studiert. „Das zu hören, gibt mir Freude.“ Diese Arbeit an den Folgen des Krieges sei Friedensarbeit, glaubt Pater Piotr.

Die Lehrerin Elena Wisniewski mit einer Schülerin an der Tafel
Die Lehrerin Elena Wisniewski mit einer Schülerin an der Tafel
Quelle: Markus Nowak
Eine Tafel mit vielen bunten Kollagen rund um das Thema Frieden
Bereits in der Grundschule geht es um das Thema Frieden
Quelle: Markus Nowak
Zwei Kinder, die gerade malen und basteln
Der Kreativität der Kinder will die Lehrerin Elena Wisniewski freien Lauf lassen.
Quelle: Markus Nowak

Eine ähnliche Auffassung vertritt in einem anderen Teil der Republik Moldau die Lehrerin Elena Wisniewski. Seit 40 Jahren unterrichtet sie im Dorf Zîrnești im Osten des Landes, nahe der Grenze zu Rumänien. Hier betreibt die Caritas das Kinderzentrum „Speranţă“, zu Deutsch Hoffnung, wo benachteiligte Heranwachsende Lernbegleitung und Unterstützung bekommen – in Workshops, bei der Bewegungstherapie, durch psychologische Betreuung oder vielfältige freizeitpädagogische Aktivitäten. „Ich will, dass die Kinder so viel Dinge wie möglich lernen, um später ein gutes und erfolgreiches Leben zu haben“, sagt Wisniewski. Viele Eltern in der Republik Moldau seien sehr damit beschäftigt, für ihr Auskommen zu sorgen, manche seien dafür sogar ins Ausland gegangen. „Für die Kinder bleibt wenig Zeit – oder sie wachsen bei den Großeltern auf,“ sagt die 61-Jährige. Zudem gebe es auf dem Land oft Probleme mit Alkohol in den Familien. „Dann sind die Eltern nicht mehr an ihren Kindern interessiert.“

Auch Fake-News heizen Konflikte an

Neben diesem Desinteresse seien auch Fake-News schuld an vielen Konflikten, beobachtet Wisniewski. Manche Eltern glaubten an die russische Propaganda über den Angriffskrieg in der Ukraine. Als Pädagogin finde sie es daher richtig, schon in der Grundschule über das Thema Frieden zu sprechen. An diesem Morgen hat sie viele bunte Illustrationen und Zeitungsbilder mitgebracht. Die Kinder sollen basteln und so kreativ zeigen, was für eine Welt sie sich wünschen. Damit kommt die Lehrerin niederschwellig mit den Kindern ins Gespräch über den Krieg im Nachbarland Ukraine – und über den Frieden. Am Ende der Unterrichtsstunde ist die Tafel voll mit Abbildungen und Zeichnungen von Menschen, die sich die Hand reichen …

Die mobilen Teams der Caritas helfen

Der Krieg in der Ukraine und das Leid der Menschen waren die Motivation für Victor Baldjis, seinen Beruf zu wechseln. Noch vor gut einem Jahr arbeitete er für die Stadtverwaltung in Comrat in der Finanzabteilung. Dann kündigte er und wechselte zum „Mobilen Team“ der Caritas. Dieses Team bringt bedürftigen Moldauern, aber auch Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine humanitäre Hilfe und Lebensmittelgutscheine. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs sind fast eine
Million ukrainische Geflüchtete in die Republik gekommen, so die Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR. 112.000 davon blieben im Land – bei einer Bevölkerung von rund 2,5 Millionen Moldauerinnen und Moldauern sind das fünf Prozent – ein Spitzenwert in Europa.

In Chișinău, wo die Mieten nicht zuletzt im Zuge der Inflation explodiert sind, können nicht alle Geflüchteten bleiben und so wohnen einige auf dem Land. Wie etwa Jewgenia Ondior. Die 40-jährige aus Odesa nahm im März 2022 ihren vierjährigen Sohn Artur und die bettlägerige Mutter und floh mit ihnen über die Grenze in die Republik Moldau. In einem Dorf in der Nähe von Comrat half eine Familie mit einer Unterkunft aus. Das „Mobile Team“ versorgt sie dort mit dem Lebensnotwendigen, hilft aber auch mit Beratung oder vermittelt bei Problemen an die zuständigen Stellen. „Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen in uns und unserem Land die helfende Hand, nach der sie greifen, und sind uns dafür dankbar“, sagt der 31-jährige Victor Baldjis und ergänzt, er wünsche sich Frieden im Nachbarland. Jewgenia Ondior schaut ihn an und nickt ihm zustimmend zu.

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Inhalt erstellt: 28.02.2024, zuletzt geändert: 25.04.2024

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